Wie schön, daß es trotz aller Megalomanie in der Branche immer wieder auch das Gegenteil gibt: Filme mit kleinem Budget und großer Story. Mike Figgis beweist erneut, daß er einen packenden, verstörenden, hervorragenden Film machen kann – mit wenig Geld, wenig Zeit und viel Talent. “Leaving Las Vegas” ist ein atemberaubend intensiver, kompakter Film, der seine Geschichte, sein Thema keinen Moment verläßt und dem Zuschauer keine Erholungspause gönnt. Die Story ist ein konsequenter und kompromißloser Abstieg in den Untergang. Ein erfolgloser Hollywood-Autor (Nicholas Cage spielt ihn mit beängstigendem Realismus) ist dem Alkohol verfallen und spürt, daß er aus dem Teufelskreis nicht mehr herauskommt. Er hebt den Rest seines Geldes vom Konto ab und begibt sich dorthin, wo die Bars niemals schließen: Las Vegas. Bei seiner Tour durch die dortige Trinker-, Spieler-, Dealer- und Stricher-Szene gerät er immer mehr an den immer schäbiger werdenden Rand des verlogenen Glitzerambiente und immer tiefer hinein in die düstere Welt der Verzweifelten und Verlorenen. Ben Sanderson lernt Sera kennen – der Schriftsteller und die Hure. Figgis geht mit diesem Topos ziemlich subtil und beklemmend veristisch um. Er benutzt Klischees und gibt ihnen einfach einen anderen Inhalt. Sera (Elisabeth Sue spielt sie mit rigoroser Hingabe an diese verzweifelte Figur, eine bemerkenswerte Schauspielerin!) verliebt sich in Ben, in seine Verletzlichkeit – und er geht schließlich auf ihr Angebot ein, zu ihr zu ziehen. Die einzige Bedingung, die er stellt: Sie soll ihn nie bitten, auffordern oder gar zwingen, mit dem Trinken aufzuhören. So entsteht auf der Leinwand eines der seltsamsten, bewegendsten und auf ungewöhnliche Art romantischsten Liebespaare der Filmgeschichte. Beide sind so ausschließlich auf einander und ihre Liebe angewiesen und konzentriert, so unerbittlich ihren Emotionen ausgeliefert und ebenso ihren seelischen und körperlichen Verfassungen, daß man als Zuschauer nicht nur immer tiefer in das Geschehen auf der Leinwand hineingesogen wird, sondern auch mehr und mehr das Gefühl bekommt, dem Kranken helfen zu wollen. Figgis schafft beim Zuschauer ein überwältigendes Maß an Beteiligtsein, wie es selten heute im Kino passiert. Und er bringt es außerdem fertig, den Alkoholismus wirklich als Krankheit zu begreifen, den physisch immer mehr abbauenden Mann als Kranken zu sehen, seine Selbstzerstörung als letzten Ausweg und als Erlösung zu sehen. Ein Mann sucht seinen Tod, läßt sich durch nichts davon abbringen und findet ihn schließlich auch. Mike Figgis inszeniert diese Passion wie einen Blues, Jazz in seiner ursprünglichsten, existentialistischen Form – und Figgis ist, wie schon bei seinem phänomenalen “Stormy Monday”, sein eigener Komponist und Musiker. Das macht den Film so beunruhigend klaustrophobisch wie aus einem Stück. Und die Cameo-Auftritte von Figgis selbst und seinen Freunden Julian Sands (als Seras litauischer Zuhälter), Bob Rafelson, Valeria Golino, Lou Rawls geben dem Film etwas wunderbar Persönliches, Intimes. “Leaving Las Vegas” ist kein versöhnliches Drama, sondern ein unversöhnliches Delirium. Großes Kino, weil es vom Leben handelt, auch wenn es um den Tod geht. fh.
Originaltitel: Leaving Las Vegas Sprache: Deutsch DD 5.1/Englisch DD 5.1 Regie: Mike Figgis
Darsteller: Nicolas Cage (Ben Sanderson), Elisabeth Shue (Sera), Julian Sands (Yuri), Richard Lewis (Peter), Valeria Golino (Terri), Steven Weber (Marc Nussbaum), Graham Beckel (Barmixer), R. Lee Ermey (Versammlungsteiln.), Laurie Metcalf (Vermieterin), David Brisbin (Vermieter), Xander Berkeley (Zynischer Taxifahrer), Lou Rawls (Anteilnehmender Taxifahrer), Mike Figgis (1. Gangster), Kim Adams (Sheila), Emily Procter (Debbie), Stuart Regen (Mann an Bar), Thomas Kopache (Mr. Simpson), Waldemar Kalinowski (2. Gangster), Ed Lauter (3. Gangster)
Produktion: Lila Cazès Produktionsland: USA/Frankreich Produktionsjahr: 1995 Bildformate: 1:1,85/16:9 Ton: Dolby Surround Mehrkanalton: Dolby Digital 5.1 Laufzeit: 107 min.
Filmpreise: Name: Golden Globe Jahr: 1996 Kategorie: Bester Hauptdarsteller (Drama)
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