Auf die Gewaltexzesse von “Casino” suchte Martin Scorsese Läuterung mit seinem Tibetfilm “Kundun”. Jean-Jacques Annaud wählt den umgekehrten Weg, von der Erleuchtung zur Gewalt, von den Höhen des Himalaya in die Hölle von Stalingrad, von “Sieben Jahre in Tibet” zu “Duell – Enemy at the Gates”: Vor der Kulisse der kriegsentscheidenden Schlacht des Zweiten Weltkriegs erzählt der französische Regisseur in der teuersten je auf deutschem Boden entstandenen Produktion – “Die Duellisten” meets “Der Soldat James Ryan”- vom zunehmend existentialistischer werdenden Zweikampf zwischen einem russischen und einem deutschen Meisterschützen, dargestellt von Jude Law und Ed Harris. Große Schauwerte, solide Darstellerleistungen und die kompetente Inszenierung sind die Trumpfasse der dritten Großproduktion über den Zweiten Weltkrieg in den letzten drei Jahren – diesmal trotz amerikanischer Produktionsfirma – Peter Gubers Mandalay – jedoch nicht made in Hollywood, sondern mehrheitlich mit deutschen Geldern entstanden. Natürlich könnte sich “Duell – Enemy at the Gates” kaum mehr vom apokalyptischem “Der Soldat James Ryan” oder meditativen Goldener-Bär-Gewinner “Der schmale Grat” unterscheiden. Obwohl Annaud gerade bei der Darstellung der hyperrealistischen Schlachtenszenen die modernsten technischen Möglichkeiten ausschöpft, ist sein Film weitaus konventioneller erzählt als die US-Schwergewichte und sieht sich eher klassisch-mythischen Kriegsheldenepen verpflichtet als modernen Erzählweisen. Vor allem aber fühlt man sich nicht zuletzt wegen James Horners penetrant aufdringlicher Filmmusik an das Western-Genre erinnert, wenn der aufstrebende Könner den alten Meister auf dessen Turf herausfordert – “Mein Name ist Nobody” in dreckverklumpten Uniformen “Young Guns” im Wahnsinn Stalingrad. Nicht Kopf, sondern vor allem das Herz will Annaud erreichen mit seiner auf wahren Begebenheiten beruhenden Soldatenmär, und so setzt er von Beginn an auf eine Überwältigung der Sinne. Von der aktuell beliebten Shuttertechnik bis zum Einsatz von Computergrafiken – etwa bei den Fliegerangriffen – reicht die Palette der gewählten Stilmittel, um den Zuschauer so schnell wie möglich ins Herz seiner Geschichte zu führen – aus der vermeintlichen Normalität einer Zugfahrt mitten hinein in die Hölle der verlustreichsten Schlacht des Zweiten Weltkriegs. Wenn der junge russische Heckenschütze Vassili Zaitsev in einer vollgepackten Barkasse über die Wolga setzt und noch vor der Ankunft am anderen Ufer die Hälfte der Männer an Bord entweder von deutschen Sturzfliegern niedergemäht oder Flüchtende von der eigenen Sicherheitspolizei erschossen werden, wird schnell klar: Überleben kann nur, wer nach vorne läuft – und selbst tötet. Überleben durch Töten, der Instinkt des Jägers – schnell kristallisieren sich aus dem anfänglichen Chaos diese Motive als Hauptthemen des Films heraus, der mit Fortschreiten der Handlung immer weniger Bezug nimmt auf die Geschehnisse in Stalingrad. Manchmal scheint die Zeit regelrecht stehen zu bleiben, der Ort keine Rolle mehr zu spielen, wenn Zaitsev und der enigmatische Major König sich gegenseitig in den Ruinen der Stadt ausspähen und belauern. Denn Zaitsev macht sich einen Namen, als er von dem Polit-Offizier Danilov (Joseph Fiennes sieht aus wie ein junger Jonathan Pryce) beobachtet wird, wie er in schneller Abfolge fünf Deutsche mit Kopfschüssen eliminiert. Um die Moral der verzweifelten russischen Kameraden zu stärken, stilisiert Petrov den Jungen aus einfachen Verhältnissen zum Helden hoch. Die Deutschen wiederum lassen ihren besten Mann einfliegen, um der angehenden Legende zu Leibe zu rücken. Als sich Zaitsev und Petrov in dunklen Kellern bei Balalaikamusik und Wodka auch noch in die gleiche Frau verlieben, entwickelt sich eine Konstellation, die sich tragisch hochschaukelt. Weder philosophisch noch historisch zeigt Annaud großes Interesse für den Krieg an sich. Tatsächlich wüsste man nach Ende des Films nicht einmal, wer in Stalingrad als Sieger hervorging. Die Schreckensszenerie ist nur spektakuläre Kulisse, wenn sich das Duell in obsessiv-surreale Höhen schraubt. Filmisch ist das vertretbar, inhaltlich offenbart sich aber eine gewisse Leere, eine Sinnentleertheit, die noch forciert wird durch die fast schon fetischistische Besessenheit des Regisseurs, jeden einzelnen Kopfschuss – und es sind eine ganze Reihe – in vollster Großaufnahmenpracht zu zelebrieren. So mischt sich unter die zweifellos angepeilten großen Emotionen ein fader Beigeschmack, zumal die Verengung der Handlung auf den Zweikampf sowohl eine optische als auch eine thematische Öffnung kaum zulässt. Annaud hat Glück, dass er mit Jude Law und Ed Harris zwei charismatische Stars gefunden hat, die manch allzu gefällige Wendung mit Bravour überspielen – auch wenn sie nie wirklich zusammentreffen. Vor allem tritt “Duell” jedoch den Beweis an, dass großes Kino in Hollywood-Qualität auch auf deutschem Boden produzierbar ist. Ein Zeichen, das von internationalen Produzenten nicht übersehen werden kann. ts.
Originaltitel: Enemy at the Gates Sprache: Deutsch/Englisch Untertitel: Deutsch Regie: Jean-Jacques Annaud
Darsteller: Jude Law (Wassili Zaitsev), Joseph Fiennes (Danilov), Rachel Weisz (Tania Chernova), Bob Hoskins (Krushchev), Ed Harris (Major König), Ron Perlman (Koulikov), Gabriel Thomson (Sasha), Eva Mattes (Mutter Filipov), Matthias Habich (General Paulus), Sophie Rois (Ludmilla), Robert Stadlober (Spotter), Dana Cebulla (Scharfschützin), Hans-Martin Stier (General Rote Armee), Dan van Husen (Russischer Offizier)
Produktion: Jean-Jacques Annaud Produktionsland: Deutschland/Großbritannien/Irland Produktionsjahr: 2000 Bildformate: 1:2,35/16:9 Ton: Dolby Surround Mehrkanalton: Dolby Digital 5.1/dts Laufzeit: 126 min. Features: Making of, Interviews, Trailer
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