Wie sein schüchterner, bebrillter Held bricht auch Disneys 40. abendfüllender Zeichentrickfilm zu einer abenteuerlichen Reise auf. Ohne Disney-typische Elemente wie begleitende Songs oder die gewohnten putzigen Sidekicks realisiert, ist “Atlantis” ein imposant umgesetztes Action-Adventure, das mit gewohnter Animationsware des Maus-Hauses wie “Tarzan” oder “Mulan” nur die tricktechnisch perfekte Umsetzung gemein hat. Zwischen Indiana Jones und Jules Verne legten Gary Trousdale und Kirk Wise ihre New-Age-angehauchte Geschichte vom Schicksal der versunkenen Sagenstadt an, womit sie den direkten Vergleich mit effektlastigen Realfilmspektakeln herausfordern. Wie alle großen Abenteuergeschichten – von “Herr der Ringe” über “Krieg der Sterne” bis hin zu “Die Mumie kehrt zuück” – erzählt auch “Atlantis” die Geschichte einer unglaublichen Reise, in deren Verlauf die Helden vor scheinbar unlösbare Aufgaben gestellt werden, deren Bewältigung sie wachsen und erwachsener werden lässt. Der Held wider Willen hier ist Milo Thatch, ein unscheinbarer Bücherwurm, der sich so sehr in seine akademischen Studien vertieft hat, dass er zwar alles Denkbare über die Fabelwelt Atlantis weiß, aber der Realität mit großen naiven Augen hilflos entgegenblinzelt. Um seinen Reifungsprozess vom ungelenken Waschlappen zum mutigen Retter eines zum Untergang verdammten Paradieses begreifbar zu machen, wird Milo im Washington des Jahres 1914 nach allzu kurzer Exposition Mitglied einer U-Boot-Mission, die in den Tiefen des Ozeans nach Atlantis fahndet, auf dem Weg mit einem gigantischen Hummer kämpft und noch weitere Hindernisse zu überwinden hat, bevor man tatsächlich die versunkene Stadt findet. Hier muss Milo entdecken, dass seine Mitstreiter tatsächlich kompromisslose Söldner sind und das Paradies lediglich ausbeuten wollen. Auf der Seite der weisen Einwohner kämpft Milo um den Fortbestand der Ur-Kultur und findet seine Liebe und Bestimmung. Im Ton und Inhalt nicht unähnlich wie “Pocahontas” – Disneys schwächster Zeichentrickfilm der neunziger Jahre – stürzen sich Trousdale und Wise in ihren Showdown, der recht unsicher zwischen Bruckheimerschen Kakophonie-Größenwahn und religiös verklärtem New-Age-Sendungsbewusstsein schwankt. Allzu sakral und selbstwichtig sind diese Szenen voller Explosionen und Erdbeben ausgefallen, als dass sie die beabsichtigte Wirkung entfalten könnten. Man bewundert die Machart, ohne von den Bildern emotional berührt zu werden. Ein Problem, mit dem der ganze Film zu kämpfen hat, der immer beeindruckend und spektakulär ist, aber den Zuschauer nur selten in seine Handlung einbindet, zumal man dem im Original von Michael J. Fox gesprochenen Milo ein Arsenal ausgesprochen unangenehmer Figuren (großteils Archetypen, wie man sie aus dem Kino der vierziger Jahre kennt) zur Seite gestellt hat. Die bemühten Formeln mögen denn auch für einen Zeichentrickfilm neu sein, aber im Realfilm sind sie bereits bestens bekannt. Und “Atlantis” versucht allzu sehr – wie der in seiner Umsetzung problematische “Titan A.E.” im letzten Jahr – so echt und real wie ein Actionfilm zu sein, anstatt auf die wahre Magie der Animation zu setzen. Die Schauwerte und der ganz besondere Reiz, der von der Auseinandersetzung mit einem Thema wie Atlantis ausgeht, sind die kommerziellen Stützpfeiler, auf die man bauen darf. Rückblickend aber wird “Atlantis” aber als wichtiges, wenn auch nicht völlig gelungenes Zwischenwerk, als Experiment gewertet werden, mit dem man dringend nötige neue Wege für eine gesamte Kunstform ausgelotet hat – will man nicht, dass der Zeichentrickfilm schon bald ausgelöscht wird wie einst die Kultur von Atlantis. ts.
Originaltitel: Atlantis – The Lost Empire Sprache: Deutsch DD 5.1/Englisch DD 5.1/Türkisch DD 5.1/Arabisch Untertitel: Deutsch/Englisch/Französisch/Spanisch/Italienisch/Türkisch/Arabisch Regie: Gary Trousdale, Kirk Wise Produktion: Don Hahn Produktionsland: USA Produktionsjahr: 2001 Bildformate: 1:1,33/4:3 Ton: Dolby Surround Mehrkanalton: Dolby Digital 5.1 Laufzeit: 92 min. Features: Quiz, Behind the Scenes, Featurettes, Entfallene Szenen, Audiokommentar
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