Ebenso brilliant wie schockierend, vor allem aber höchst unterhaltsam ist Michael Moores Dokumentarfilm über die Waffenversessenheit Amerikas. Die weltweit höchste Todesrate von weit über 10.000 “gun deaths” pro Jahr und die gleichzeitig ungebrochene Sturheit, mit der seine Landsleute auf dem uneingeschränkten Recht auf Waffenbesitz beharren – auch und gerade nach Schulmassakern wie in Littleton -, ließ Moore eine Menge Fragen stellen: nach den Zusammenhängen von ziviler Gewalt und amerikanischer Außenpolitik, Mediendarstellung, Historie und Wirtschaft. Antworten darauf bietet der Film kaum, doch Moores Gespür für Satire und seine unglaubliche Hartnäckigkeit, die Mächtigen mit der hässlichen Wahrheit zu konfrontieren, macht “Bowling for Columbine” zu einem echten Erlebnis – und lenkt die Diskussion gleichzeitig hin zu den Geschehnissen in Deutschland. Ohne ein strenges Konzept zieht Moore zunächst los, in Gang gesetzt durch die Entdeckung, dass in seinem Heimatort in Michigan nicht nur der Littleton-Schütze Eric Harris, sondern auch einer der beiden Attentäter von Oklahoma City, sowie Charlton Heston, der prominente Waffen-Lobbyist der National Rifle Association, aufwuchsen. Moore, selbst Mitglied der NRA, lässt eine ganze Reihe farbenfroher Charaktere aufmarschieren, die stolz ihre Waffen und ihr Wissen um Bombenbau präsentieren, um zu zeigen, wie einfach es für fanatische Spinner in den USA ist, an Massenvernichtungsmittel heranzukommen. Der Chronistenpflicht des Dokumentarfilmers kommt er gleichzeitig nach, indem er Zahlen präsentiert, bei denen es einem angst und bange wird: 250 Millionen Feuerwaffen lagern in amerikanischen Haushalten – ein Milliardengeschäft für die Industrie, der, wie Moore unterstellt, die Medien fleißig zuarbeiten. Denn die Bereitschaft der Amerikaner, sich zu bewaffnen, wachse mit der subjektiv empfundenen Bedrohung durch die Darstellung von Gewalttaten. Obwohl die tatsächliche Verbrechensrate zurückgehe, steige die Berichterstattung darüber, und durch eine ganze Reihe geschickt angelegter Montagen präsentiert Moore seine beste These: Diese ständig geschürte Angst vor Gewalt führe zur Bewaffnung und zur Überreaktion, Konflikte mit dem Finger am Abzug zu lösen. Interessant ist dabei, wie brilliant Moore historische Zusammenhänge – besonders durch eine haarsträubend witzige Animationssequenz – in seinen Dienst nimmt: Die Furcht der Weißen vor der wachsenden schwarzen Bevölkerung führte zur Erfindung des handlichen Mehrschüssers und schließlich zur Abschottung vor als bedrohlich empfundenen Minderheiten in Hochsicherheitswohngebieten – wo heute wiederum die höchste Todesrate nach Schussverletzungen herrscht. Eher wie ein Essayist als wie ein Reporter läßt Moore sich dabei von einer Entdeckung zur nächsten treiben, was seinen Film erkenntisreich, aber auch ein wenig ausgefranst macht, und fast ist man geneigt, ihm seine zur Schau gestellte naive Verblüffung über das Gehörte und Gesehene abzunehmen. Doch natürlich ist Moore nicht umsonst einer der wenigen Stars des Dokumentarfilms und setzt der Kaltschnäuzigkeit der Mächtigen seine eigene Virtuosität als Manipulator entgegen. Wenn er etwa die Supermarktkette K-Mart, wo die Schützen ihre Munition kauften, mit zwei Überlebenden von Littleton konfrontiert, wenn er die Scheinheiligkeit von TV-Reportern entlarvt oder wenn er schließlich Charlton Heston gegenübersitzt und ihn mit dem Bild eines sechsjährigen Mädchens, das von einem Gleichaltrigen erschossen wurde, in die Sprachlosigkeit treibt – dann hat sein moralischer Sieg auch einen leichten Beigeschmack. In Cannes, wo der Film als Wettbewerbsbeitrag geadelt wurde, traf “Bowling for Columbine” jedenfalls voll einen deutlicher denn je freiliegenden anti-amerikanischen Nerv und sorgte mehrfach für Szenenapplaus: Das Porträt des hochgerüsteten Weltpolizisten Amerika als paranoider, blutrünstiger Angstbeißer setzte sich ebenso durch wie die unbehagliche Ahnung, dass das Ausrichten der europäischen Medien nach amerikanischen Erfolgsmustern womöglich doch ursächlich mit jüngsten Tragödien wie in Erfurt zusammenhängt. evo.
Originaltitel: Bowling for Columbine Sprache: Deutsch/Englisch Untertitel: Deutsch Regie: Michael Moore Produktion: Kathleen Glynn Produktionsland: USA/Kanada/Deutschland Produktionsjahr: 2002 Bildformate: 1:1,78/16:9 Ton: Dolby Surround Mehrkanalton: Dolby Digital 5.1 Laufzeit: 114 min.
Filmpreise: Name: César-Verleihung Jahr: 2003 Kategorie: Bester ausländischer Film
Um dir ein optimales Erlebnis zu bieten, verwenden wir Technologien wie Cookies, um Geräteinformationen zu speichern und/oder darauf zuzugreifen. Wenn du diesen Technologien zustimmst, können wir Daten wie das Surfverhalten oder eindeutige IDs auf dieser Website verarbeiten. Wenn du deine Zustimmung nicht erteilst oder zurückziehst, können bestimmte Merkmale und Funktionen beeinträchtigt werden.
Funktional
Immer aktiv
Die technische Speicherung oder der Zugang ist unbedingt erforderlich für den rechtmäßigen Zweck, die Nutzung eines bestimmten Dienstes zu ermöglichen, der vom Teilnehmer oder Nutzer ausdrücklich gewünscht wird, oder für den alleinigen Zweck, die Übertragung einer Nachricht über ein elektronisches Kommunikationsnetz durchzuführen.
Vorlieben
Die technische Speicherung oder der Zugriff ist für den rechtmäßigen Zweck der Speicherung von Präferenzen erforderlich, die nicht vom Abonnenten oder Benutzer angefordert wurden.
Statistiken
Die technische Speicherung oder der Zugriff, der ausschließlich zu statistischen Zwecken erfolgt.Die technische Speicherung oder der Zugriff, der ausschließlich zu anonymen statistischen Zwecken verwendet wird. Ohne eine Vorladung, die freiwillige Zustimmung deines Internetdienstanbieters oder zusätzliche Aufzeichnungen von Dritten können die zu diesem Zweck gespeicherten oder abgerufenen Informationen allein in der Regel nicht dazu verwendet werden, dich zu identifizieren.
Marketing
Die technische Speicherung oder der Zugriff ist erforderlich, um Nutzerprofile zu erstellen, um Werbung zu versenden oder um den Nutzer auf einer Website oder über mehrere Websites hinweg zu ähnlichen Marketingzwecken zu verfolgen.