Mit einer wunderbar leicht und lässig erzählten Geschichte einer Kindheit und Jugend reüssierte Richard Linklater bei den Festivals in Sundance und Berlin und sollte es auch beim breiten Publikum tun. Dabei war die Produktion alles andere als leicht und ein Wagnis. Zwölf Jahre lang hat der Independentfilmer immer wieder mit seiner Hauptdarstellern, dem jungen Ellar Coltrane, seiner Tochter Lorelei, Patricia Arquette und Ethan Hawke, Star seiner drei “Before Sunrise”-Filme, gedreht. Sein einzigartiges Konzept für einen Spielfilm, das man sonst nur aus Dokus kennt, ging auf. Unglaublich frisch und authentisch wirkt der Film. Das liegt nicht nur an den jungen Gesichtern. Es ist spannend, nicht nur der Veränderung des Kindes zum jungen Mann zu zu sehen, sondern auch dem Älterwerden seiner getrennt lebenden Eltern. Die Übergänge zwischen den Drehblöcken fallen dabei überhaupt nicht ins Auge, alles erscheint in einem Guss, in den hellen, warmen Farben des sonnigen Texas getaucht. Linklater gelingt das Kunststück, nicht nur typische Erfahrungen aus dem Alltag von Kids, Schülern und Studenten so treffend zu schildern, dass sich jeder darin wiederfinden kann, sondern auch die Entwicklung in Politik und Popkultur in den USA genau und augenzwinkernd zu betrachten. In einer herrlichen Szene etwa stiftet Hawke, der vom verplanten Möchtegernmusiker irgendwann doch noch zum verantwortungsbewussten Familienvater wird, seine beiden Kinder an, Obama-Plakate in die Vorgärten der Nachbarschaft zu pflanzen. Es wird “Harry Potter” vorgelesen und über “Star Wars” diskutiert. In der über 160 Minuten langen, von populären Songs begleiteten Coming-of-Age-Geschichte steckt auch Linklaters (Werk-)Geschichte, wie sein Gespür für das Lebensgefühl der Jugend, das er etwa in “Dazed and Confused” demonstrierte, oder die ausgefeilt-verspielten Dialoge aus den “Before Sunrise”-Filmen, die vor allem in den späteren Szenen zum Tragen kommen. Bei aller Leichtigkeit schlägt der Film auch ernste Töne an, muss sich Arquettes Olivia als alleinerziehende Mutter durchschlagen und sich und ihre Kinder vor einem vom Alkohol aggressiv gewordenen Mann in Sicherheit bringen. Linklaters individuelles ebenso wie gesellschaftliche Panorama der Jahre 2002 bis 2013 ist US-Independentkino von seiner besten Seite, verbindet Arthouse- mit Popcorn-Kino, Anspruch mit Unterhaltung. hai.
Darsteller: Ethan Hawke (Mason, erwachsen), Patricia Arquette (Olivia), Ellar Coltrane (Mason, jung), Lorelei Linklater (Samantha), Tamara Jolaine (Tammy), Nick Krause (Charlie), Jordan Howard (Tony), Shane Graham (Stanley), Evie Thompson (Jill), Sam Dillon (Nick), Cambell Westmoreland (Kenny), Lauren Lee (Klassenkameradin)
Produktion: Richard Linklater Produktionsland: USA Produktionsjahr: 2014 Bildformate: 1:1,85/16:9 Mehrkanalton: Dolby Digital 5.1 Laufzeit: 159 min.
Kritik: Seit 2002 arbeitete Richard Linklater an diesem einmaligen Spielfilmprojekt, bei dem er Jahr für Jahr Patricia Arquette und Ethan Hawke als Elternpaar vor der Kamera zusammenspannte und mit Ellar Coltrane den idealen Darsteller für den in Realzeit von 6 zu 18 Jahren heranwachsenden Mason fand. Von kleinen und großen Sehnsüchte und Sorgen, von den Bedürfnissen und Ängsten eines Buben und Teenagers erzählt dieses spannende Experiment, das als singuläres Ereignis seinen Platz in der Kinogeschichte sicher hat.
Filmpreise: Name: Gilde-Filmpreis Jahr: 2014 Kategorie: Internationaler Film
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