Verdiente zweite Goldene Palme für Michael Haneke: Ein kleiner Film über das Sterben, der ein großer über die Liebe ist. Drei Jahre nach dem Gewinn der Goldenen Palme für “Das weiße Band” kehrte Michael Haneke an den Ort seines Triumphes zurückgekehrt, mit einem Film, der all jene verblüffen wird, die den Österreicher eher als unbarmherzigen Chronisten der Grausamkeit des Menschen abgespeichert haben. Tatsächlich könnte “Liebe”, eine französisch-deutsch-österreichische Koproduktion (deutscher Koproduktionspartner: X Filme), nicht weiter entfernt sein von den kompromisslosen Mysterienspielen wie “Das weiße Band” und “Caché”, die ihn endgültig an die Spitze der Elite des Kunstkinos geführt haben: Gewiss ist die Betrachtung der letzten Belastungsprobe eines erfüllten Ehelebens der zärtlichste Film in der Karriere Hanekes. Der Film ist klug besetzt mit den beiden französischen Schauspielikonen Emmanuelle Riva und Jean Louis Trintignant, die ihren internationalen Ruf vor fünf Jahrzehnten auch mit Filmen begründet haben, in denen die Liebe eher mit Aufbruch und Leidenschaft in Verbindung gebracht wird, als etwas hell Loderndes und heiß Brennendes – sie mit “Hiroshima Mon Amour”, er mit “Ein Mann und eine Frau”. Als Eheleute Anne und Georges haben sie das lange hinter sich gelassen: Ihre Liebe ist geprägt durch Zuneigung, Verständnis und Gewissheit – und wird auf die Probe gestellt, als Anne nach zwei Schlaganfällen dem Tod immer näher kommt. Wie Andreas Dresens “Halt auf halber Strecke” ist auch “Amour” ein Film über das Sterben, daran lässt schon die erste Szene des Films keinen Zweifel, in der die Polizei in die Wohnung der beiden eindringt und im Schlafzimmer ihre aufgebahrte Leiche findet. Aber anders als Dresens Deutscher Filmpreis-Gewinner, der in Cannes 2011 die Nebenreihe Un certain régard gewann, ist Hanekes Film keine dokumentarisch geprägte Chronik einer Familie am Abgrund, sondern ein messerscharfer, unsentimentaler Blick darauf, was man gerade im Angesicht des Endes bereit ist, aus Liebe zu tun. Die Monate von den letzten unbeschwerten gemeinsamen Tagen hin zu dem beschriebenen Moment ganz zu Beginn sind Inhalt von “Amour”, der sich mit Ausnahme einer Szene ausschließlich in der Wohnung der beiden Protagonisten abspielt, dabei aber nie eng oder limitiert wirkt. Und auch, wenn Haneke seinem Publikum einfach aufgrund der Unausweichlichkeit seiner Geschichte Einiges abverlangt, weil man Zeuge des zunehmenden Verfalls von Anne und der unerträglichen Belastung für Georges wird, ist es ein in seiner Präzision immer faszinierender Film, der es sich am Schluss doch nicht verkneifen kann, sein Publikum mit ein paar dringlichen Fragen zu entlassen, mit einem Rätsel und einem potenziellen Aufreger: Denn was “Liebe” in seinen entscheidenden Momenten als etwas völlig Logisches, gar Unausweichliches zeigt, dieser letzte Akt aus Liebe ist eben auch ein Kapitalverbrechen. Bei seiner Weltpremiere im Grand Théâtre Lumière wurde der Film mit minutenlangen stehenden Ovationen regelrecht gefeiert: Michael Haneke ist endgültig auf der Höhe seiner Meisterschaft angekommen. ts.
Originaltitel: Amour Sprache: Deutsch/Französisch Regie: Michael Haneke
Produktion: Margaret Ménégoz Produktionsland: Frankreich/Deutschland/Österreich Produktionsjahr: 2012 Bildformate: 1:1,85/16:9 Laufzeit: 122 min.
Kritik: Verdiente zweite Goldene Palme für Michael Haneke: Ein kleiner Film über das Sterben, der ein großer über die Liebe ist – und eine Liebeserklärung an die beiden Hauptdarsteller Jean-Louis Trintignant und Emmanuelle Riva, die am Ende ihrer Karrieren noch einmal beweisen, warum sie vor fünf Jahrzehnten zu Idolen geworden waren. Hanekes Blick ist wie immer unsentimental, grausam ist diesmal aber nicht er, sondern das Schicksal, das er betrachtet, mit einer Wärme und Zärtlichkeit, die seinem Kino gut zu Gesicht stehen.
Filmpreise: Name: Gilde-Filmpreis Jahr: 2012 Kategorie: Internationaler Film
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