Der ambitionierteste Film seit “2001 – Odyssee im Weltraum”: In einer Sinfonie berauschender Bilderfolgen stellt sich Terrence Malick anhand der Geschichte einer Kindheit in den Fünfzigerjahren den großen Fragen des Wunders Leben.
Selbst, wenn man sich der imposanten Vision von Terrence Malick nicht verschreiben will und den philosophischen Überbau seines fünften Films als Regisseur seit seinem Debüt “Badlands” im Jahr 1973 als prätentiöses, womöglich gar religiös verklärtes Wolkenkuckucksheim abtut, wird man zugestehen müssen, dass es zu “The Tree of Life”, entstanden in vierjähriger Arbeit, an Ambition, Einzigartigkeit und visueller Extravaganz im Kino von heute nichts Ebenbürtiges gibt. Filme wie dieser werden eigentlich nicht gemacht. Nicht einmal in der kreativen Hochphase des amerikanischen Kinos zu Zeiten des New Hollywood gab es Vergleichbares. Dass er heutzutage entstehen konnte, wo Film kaum noch als Kunstwerk sondern als vermarktbares Produkt zu funktionieren hat, grenzt an ein Wunder. Wenn man denn nach Referenzen für dieses, in endlosen, perfekt aufeinander abgestimmten Bilderkaskaden (Kamera: Emmanuel Lubezki) frei fließende Poem über das Wesen der menschlichen Seele sucht, das nach Ordnung strebt, wo keine Ordnung bestehen kann, und nach Sinn, wo alle Fragen unbeantwortet bleiben müssen, dann kann man Kubricks “2001” nennen und vielleicht noch “Koyaanisqatsi”.
In erster Linie ist sich Malick selbst verpflichtet. “The Tree of Life” ist aus dem Holz geschnitzt, das auch Malicks vorangegangene Filme, “Der schmale Grat” und “The New World”, zu singulären Ereignissen gemacht hat. In ihnen finden sich bereits in Grundzügen Stil und Vokabular des neuen Films, die der nunmehr 67-jährige Texaner aber so sehr verfeinert und perfektioniert hat, dass er sich noch weiter von den Konventionen des Erzählkinos entfernt hat. “The Tree of Life” ist ein einzigartiges Erlebnis, ein kosmischer Trip, der erfühlt und erspürt werden will und erst dann intellektuell aufgearbeitet. Man muss sich auf seine entfesselten Bilderfolgen einlassen, begleitet von klassischer Musik, sich in die Höhe schraubenden Choräle und eingestreuten Kommentaren verschiedener Figuren aus dem Off, die mit ganz simplen Aussagen oder Fragen ihr Innerstes offenbaren. Natürlich finden sich auch Malicks stetige Themen wieder: Der Mensch, der von der Gnade abgefallen ist. Die Unschuld, die auf dem schmerzhaften Weg zum Erwachsensein auf der Strecke bleibt. Die Natur, die dem menschlichen Treiben ungerührt zusieht, als müsste sie schmunzeln ob des Lärms und der Raserei, die am Ende doch nichts bedeuten. Doch diesmal spiegelt Malick sie an nicht mehr und nicht weniger als der Schöpfungsgeschichte, das Ringen mit Gott, ausgelöst von der Frage danach, warum er zulassen konnte, dass ein 19-jähriger Junge aus dem Leben gerissen wurde.
Ein Zitat aus dem Buch Hiob eröffnet den Film: “Wo warst du, als ich die Erde gründete?” Gleich wird Malick eine mögliche Antwort darauf geben, nachdem der Junge Jack und seine Eltern in einer texanischen Kleinstadt Mitte der Fünfzigerjahre in einer Art Ouvertüre vorgestellt wurden. Ein Brief informiert die Familie davon, dass einer von Jacks beiden Brüdern ums Leben gekommen ist, ein traumatisierendes Ereignis, das Jack, gespielt von Sean Penn, selbst in der Gegenwart noch verfolgt: Er ist beruflich erfolgreich, aber er leidet am Leben, geht durch ein persönliches Fegefeuer und schließlich auf eine Entdeckungsreise, nachdem die Frage nach dem Sinn eines so sinnlosen und frühen Todes gestellt wird. Es folgt nach etwa 20 Minuten eine unfassbare und völlig unerwartete Bildersequenz, die den Vergleich mit “2001” förmlich herausfordert: Aus Spiralnebeln und Zellteilungen und einem Urknall entsteht die Erde, Vulkane erheben sich und brechen aus, Wasser und Leben entsteht, erste Fische bewegen sich an Land, ein Raubsaurier kann ein schwächeres Tier töten, entscheidet sich aber dagegen – der erste Akt der Gnade auf der Erde. Der Mensch kann entstehen. Schnitt zu Vater und Mutter O’Brien, die ihren ersten Sohn Jack auf der Welt willkommen heißen. Sicher gibt es viel auch beabsichtigten Spielraum bei der Interpretation dieser Sequenz. Sinnvoll erscheint die Erklärung, dass jeder Mensch bei der Geburt die Geschichte der Erde in sich trägt und weitergeben wird. Der ewige Kreislauf. Fortan bleibt der Film nahe bei Jack und wie er die Welt sieht, immer seinem jeweiligen Alter entsprechend: die Mutter – Jessica Chastain – als unbeschwertes Feenwesen, der Vater – Brad Pitt – zunächst als liebevolle Größe im Leben des Jungen, später immer strenger und bestimmter, unnachgiebig beim Einfordern von Respekt und Einhaltung der von ihm aufgestellten Regeln. Wer es zu etwas bringen will, der muss Härte zeigen. Zwischen dem weiblichen und männlichen Pol oszilliert der Film, lässt seine Hauptfigur Erfahrungen machen, mit dem Tod, mit der Kunst, mit seiner aufkeimenden Sexualität, mit Gewalt, mit der Versuchung – um schließlich an einem Ort der spirituellen Erlösung anzugelangen.
2011 – Odyssee auf dem Planet Erde: Indem Malick diesmal den Fokus nicht auf ein historisches Ereignis richtet wie in seinen letzten beiden Filmen, sondern auf eine ganz normale Kindheit, erhalten die abgehandelten Themen ein noch stärkeres Gewicht. Sein Streben, in der Auflösung von Zeit und Raum, Sinn zu finden, eine Quelle der menschlichen Seele, das trägt Züge von Größenwahn. Aber was für ein Größenwahn! Voll von großer Erhabenheit und unendlicher Schönheit. 56-mal hintereinander habe Mantovani ein Stück aufnehmen lassen, erzählt der Vater seinem Sohn Jack in einer gemeinsamen Szene. Danach habe er gesagt: Ich kann es noch besser. Das Streben nach Perfektion ist ein ewiger künstlerischer Impetus, wie auch das Bedürfnis danach, Antworten auf Fragen zu finden und damit Gott näher zu kommen. Vielleicht also kann es Terrence Malick noch besser. Aber zum jetzigen Zeitpunkt ist es gut genug. Allemal. ts.
Originaltitel: The Tree of Life
Sprache: Deutsch dts 5.1/Deutsch DD 5.1/Englisch DD 5.1
Untertitel: Deutsch
Regie: Terrence Malick
Darsteller: Brad Pitt (Mr. O’Brien), Sean Penn (Jack), Jessica Chastain (Mrs. O’Brien), Hunter McCracken (Jack, jung), Laramie Eppler (R.L.), Tye Sheridan (Steve), Fiona Shaw (Großmutter), Jessica Fuselier (Guide), Nicolas Gonda (Mr. Reynolds), William Wallace (Architekt), Jackson Hurst (Onkel Ray), Kelly Koonce (Pater Haynes), Bryce Boudoin (Robert), Jimmy Donaldson (Jimmy), Kameron Vaughn (Cayler), Cole Cockburn (Harry Bates), Dustin Allen (George Walsh), Brayden Whisenhunt (Jo Bates), Joanna Going (Jacks Frau), Savannah Welch (Mrs. Kimball), Tamara Jolaine (Mrs. Stone), Julia M. Smith (Beth), Samantha Martinez (Samantha), Anne Nabors (Rue), Christopher Ryan (Gefangener), Michael Showers (Mr. Brown), Kimberly Whalen (Mrs. Brown), Margaret Ann Hoard (Jane), Hudson Long (Mr. Bagley), Michael Dixon (Dusty Walsh)
Produktion: Sarah Green
Produktionsland: USA
Produktionsjahr: 2011
Bildformate: 1:1,85/16:9
Mehrkanalton: Dolby Digital 5.1/dts
Medienanzahl: 1
Laufzeit: 132 min.
Filmpreise:
Name: Internationale Filmfestspiele in Cannes
Jahr: 2011
Kategorie: Goldene Palme
Features: Behind the Scenes, Trailer
Zustand: Gebraucht
Altersbegrenzung: 12
Hersteller: EuroVideo
Anbieterartikelnummer: 642529
EAN: 4010324029447
Grundpreis: Eur /