Angehaltener Atem, ungläubiges Staunen, spontaner Applaus – das war die Reaktion selbst der hartgesottensten Kritiker auf Szenen von “Tiger & Dragon”, der im Wettbewerb in Cannes außer Konkurrenz lief. Tatsächlich hat man solche Kampfsequenzen wie in diesem faszinierenden Actiondrama aus dem alten China, in Szene gesetzt von “Matrix”-Choreograph Yuen Wo-Ping, noch nicht gesehen. Regisseur Ang Lee, der nach “Sinn und Sinnlichkeit” und “Der Eissturm” hinreichend bewiesen hat, dass sich asiatische Sensibilität für kleine Gesten und verborgene Gefühle bestens mit amerikanischer Dramaturgie vereinbaren lassen, schlägt nun erstmals eine deutlich leichtere Tonart an. Als Referenz an die Kung-fu-Filme seiner Jugend gedreht, überwindet sein “Tiger” spielend alle Sprachbarrieren und dürfte keine Schwierigkeiten haben, ein hippes westliches Publikum zu finden. Von der Coolness chinesischer Kampfkunstfilme, entdeckt nicht zuletzt im Kielwasser von Quentin Tarantinos Kino der Trivialkultur Anfang der neunziger Jahre, wird auch Ang Lee profitieren, zumal seine beiden Hauptdarsteller Chow Yun-fat (“Corruptor”, “Anna und der König”) und Michelle Yeoh (“James Bond – Der Morgen stirbt nie”) längst eine breite Fanbasis im Abendland haben. Die Kunst des Verleihs wird es eher sein, den Film eben nicht als reines Actionspektakel zu verkaufen, sondern auch als große Kostümromanze mit zwei über Kreuz agierenden Liebespaaren, deren Schicksal sich nicht auf dem Kampfplatz entscheidet, sondern im Herzen: Da ist einmal der ältere Wutan-Krieger Mu Bai (Chow), der sein legendäres Schwert “Green Destiny” an den Nagel hängen will und es deshalb Shu Lien (Yeoh) anvertraut. Deren jahrelange, heimliche Liebe erwidert er zwar, doch beide halten den Wutan-Ehrenkodex zu hoch, als dass sie sich gestatten würden, ihren Gefühlen nachzugeben. Lien bewacht das Schwert im Haus eines hochrangigen Politikers, dessen eigensinnige Tochter Jen (Zhang Ziyi) sich schweren Herzen auf ihre bevorstehende Hochzeit vorbereitet und die Lien wegen ihres offensichtlich ungebundenen Samurai-Lebens beneidet. In der Nacht wird das Schwert von einer maskierten Unbekannten aus dem strengbewachten Haus gestohlen. Lien konfrontiert die Diebin – und es beginnt die erste von mehreren absolut spektakulären Actionsequenzen, in der die Kontrahenten federleicht durch die Luft gleiten, Wände hinauflaufen und sich in ihren so atemberaubend schnellen wie anmutigen Kämpfen auch sonst um kein physikalisches Gesetz scheren. Im Folgenden entpuppt sich die Diebin als Jen, die ihrerseits bei der Erzfeindin von Mu Bai die Kampfkünste gelernt hat. Alte Rechnungen müssen selbstverständlich beglichen werden, und doch geht es hier vor allem um Vergebung und um neue Chancen, die die Alten nicht mehr nutzen können und die die Jungen noch nicht für sich erkennen. Die wilde Jen, die ihre Hochzeit platzen lässt, um zurück zu ihrer großen Liebe, dem Wüstenbanditen Dark Cloud, zu gehen, muss sich schließlich entscheiden: für den Weg der Meister oder für die Erfüllung ihrer Liebe. Das Erstaunliche an “Tiger & Dragon” ist vor allem, wie treu Ang Lee seinem Vorbild der Schwertkämpferfilme geblieben ist, mit all ihrem Melodram, ihren wunderlichen Wendungen und magischen Momenten – und wie problemlos sich das westliche Auge gleichzeitig diesen Bildern anpasst. Selbst wenn die Menschen im Gleitflug über Baumwipfel zischen oder übers Wasser laufen, wirken die unglaublichen Tricks und Stunts nie fremdartig oder “exotisch”. Lee hat seinen Film zwar komponiert wie eine Oper, voll übergroßer Gefühle und bombastischer Massenszenen (untermalt vom klagenden Cello des Virtuosen Yo-Yo Ma), behält dabei aber seinen realistischen Stil. Und ganz nebenbei hat er in einem bislang ausschließlich männlichen Genre einen Frauenfilm gedreht: Die drei Kriegerinnen im Zentrum des Dramas streiten sich nur vordergründig um des Schwert des alternden Samurai. In Wirklichkeit geht es um die Selbstbestimmung des eigenen Lebensweges. evo.
Originaltitel: Crouching Tiger, Hidden Dragon Sprache: Deutsch/Mandarin Untertitel: Deutsch Regie: Ang Lee
Darsteller: Chow Yun-Fat (Li Mu Bai), Michelle Yeoh (Yu Shu Lien), Zhang Ziyi (Jen), Chang Chen (Lo), Lung Sihung (Sir Te), Cheng Pei-pei (Jade Fox), Li Fazeng (Gouverneur Yu), Gao Xian (Bo), Hai Yan (Madam Yu), Wang Deming (Tsai), Li Li-Li (May)
Produktion: Bill Kong Produktionsland: Hongkong/Taiwan/USA Produktionsjahr: 2000 Bildformate: 1:2,35/16:9 Ton: Dolby Surround Mehrkanalton: Dolby Digital 5.1/dts Laufzeit: 115 min.
Filmpreise: Name: Bogey – Box Office Germany Award Jahr: 2001 Kategorie: 1000 Besucher pro Kopie am Startwochenende Features: Making of, Audiokommentar, Interview, Bildergalerie, Soundtrack-Promo, Biografie, Trailer
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